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Übersetzung: Ein Rückblick auf die ersten 8 Jahre Irak-Krieg (aus dem Meinungsteil von Aljazeera)

Medea Benjamin und Charles Davis haben 2009, anlässlich des 8. Jahrestages der Invasion des Iraks, eine lesenswerte Bilanz dieses Krieges gezogen, die ich für die Politikgruppe (frei) ins Deutsche übersetzt habe:

„Am 19. März ist der 8. Jahrestag der Invasion des Irak, einem Land, welches nicht im Besitz von Massenvernichtungswaffen war und auch nicht in die Anschläge vom 11.September 2001 verwickelt war.

Der amerikanische stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz ging davon aus, seine Soldaten würden als „Befreier“ begrüßt werden.

Vize-Präsident Dick Cheney sagte, der Einsatz würde wohl „eher Wochen als Monate“ dauern.

Ein Rückblick:

Tode von US-Soldaten:

Es sind seitdem 4.400 Amerikaner im Irak umgekommen. Mehr als die 3000 am 11. September.

Eine Studie der Stanfort University geht außerdem von einem Anstieg der Zahl post-traumatisch belasteter Soldaten auf 35% bis 2023 aus. Auch überstieg 2010 zum zweiten Mal in Folge die Anzahl der durch Selbstmord verschiedenen Soldaten, die Anzahl der im Kampf gestorbenen.

Kosten:

Nobelpreisträger und Ökonom Joseph Stiglitz schätze 2008 die Kosten des Einsatzes auf 3 Billionen Dollar. 60-mal so viel wie ursprünglich von der Bush-Regierung veranschlagt. Mittlerweile geht er davon aus, dass seine Schätzung wenn überhaupt, dann zu niedrig war.

Zum Vergleich: Mit diesem Geld ließen sich 12,5 Mio. neue Lehrer bezahlen oder auch eine Krankenversicherung für 167 Mio. Amerikaner.

Irakische Tote:

Die Haupt-Leidtragenden sind natürlich die Iraker selber.

Unfassbar viele von ihnen, die es zu befreien galt, sind seit der Invasion umgekommen.

Iraq Body Count zählte, auf der Basis westlicher Medienberichte, 99.900 getötete Iraker.

Alleine die 15.000 von der US-Regierung verschleierten Opfer, deren Existenz erst durch WikiLeaks herauskam, legen jedoch nahe, dass diese Zahl der Realität nicht genüge tut.

Eine 2006 veröffentlichte Studie der John Hopkins University zählte beispielsweise 654.965 irakische Tode als Konsequenz des Krieges, was nicht nur Schusswaffen sondern auch mangelnde Versorgung mit Medizin oder sauberem Trinkwasser mit einschließt.

Solche Gesichtspunkte berücksichtigend, kam eine britische Analyse von 2008 auf die traurige Zahl von 1.000.000 durch den Krieg umgekommener Iraker.

Lebensstandard:

Nachdem die Infrastruktur und Grundversorgung schon durch die 13 Jahre Bombardement und Sanktionierung des Irak immer schlechter geworden war, wurden durch die Invasion 2003 auch noch Abwassersysteme, Abwasser-Aufbereitungswerke, Elektrizitätswerke, Krankenhäuser, etc zerstört.

Nach 8 weiteren Jahren sind die Lebensbedingungen heute, mit Mangel an Elektrizität, sauberem Wasser, Medikamenten und Sicherheit, schlechter als zu den Zeiten unter Saddam Hussein.

Nicht nur als Iraker fragt man sich, wieso die Leute im Dunkeln sitzen, nachdem die mächtigste Nation der Welt ihr Land besetzte und seitdem Milliarden zur Rekonstruktion ausgab.

Flüchtlinge:

Laut der United Nations Refugee Agency sind seit 2003 4,7 Mio. Iraker aus ihrer Heimat geflüchtet, viele von ihnen bedürften dringend humanitärer Hilfe.

Die Lage der ca. 3 Millionen Witwen im Irak ist besonders prekär. Die schlechte Sicherheitslage im Irak führt dazu, dass sie in ihrer Heimat zunehmend Angst haben müssen das Haus zu verlassen. Flüchten sie, sind sie oft gezwungen sich zu prostituieren um ihre Kinder zu ernähren. Allein in Syrien vermutet man mehrere 10.000 Irakerinnen in dieser Situation, Minderjährige eingeschlossen.

Vergiftungen:

Das US-Militär bombardierte den Irak mit tausenden Bomben, die abgereichertes Uran enthielten, quasi Atommüll, weil diese sich beim Aufschlag so wunderbar entzünden.

Diese Bomben töten noch Jahre nach dem Bombardement.

So wurde in Fallujah, dem am stärksten bombardierten Teil Iraks, von britischen Forschern ein massiver Anstieg der Kindersterblichkeit und des Krebsrisikos festgestellt. Laut The Independent übersteigt letzteres sogar die Werte von Hiroshima und Nagasaki.

Al Jazeera berichtete zudem, auch die zentrale Region Babil habe einen Anstieg der Krebsfälle von 500 im Jahre 2004 auf 7.000 im Jahre 2008 zu verzeichnen.

Und in Basra hat sich, laut einer Studie die im American Jounal of public Health veröffentlicht wurde, die Leukämie-Rate unter Kindern in den letzen 15 Jahren verdoppelt.

Machtwechsel:

Viele der schlimmen Vergehen Saddam Husseins, so z.B. die Invasion Irans, fallen in die Zeit als er von den US-Regierungen gestützt wurde. Seine Morde und Folterpraktiken interessierten nicht, zumal sie sich gegen Iraner richteten.

So darf auch der heutige, von den USA gestützte, Premierminister Nouri Al-Maliki, seine politischen Gegner töten und foltern, traut man den WikiLeaks Enthüllungen.

Inspiriert von Ägypten und Tunesien, wo solche Praktiken durch ein Aufbegehren des Volkes ihr Ende fanden, protestierten auch die Iraker gegen ihr Staatsoberhaupt. Man empfing sie mit scharfer Munition. Am 27. Februar wurden 29 Demonstranten, unter ihnen ein 14 jähriger Junge, von Maliki’s Sicherheitskräften niedergeschossen.

Journalisten berichten zudem davon, gemeinsam mit hunderten Demonstranten, ihrer ungenügenden Loyalität zum Regime wegen, gefesselt, geschlagen und mit dem Tod bedroht worden zu sein.

Es entsteht der Endruck, dass das Leben im neuen Irak nicht viel besser ist als unter Saddam.

Betrachtet man die Proteste in anderen Teilen Nord-Afrikas bzw. des Mittleren Ostens, scheint die Invasion ausländischer Truppen für echte Reformen weniger effektiv als der gewaltlose Aufstand.

Terrorismus:

Stellte die US-Regierung den Einsatz mal nicht als komplett humanitär begründet dar, so wurde versucht ihn als Antwort auf die Anschläge vom 11. September schmackhaft zu machen. Man bediente sich der Wut und der Ängste des amerikanischen Volkes nicht nur, sondern schürte sie bewusst mit Geschichten von freundschaftlichen Banden zwischen al-Qaida und dem Irak.

Heute kommen die eigenen Geheimdienste zu dem Schluss, dass „der Irak-Krieg das allgemeine Terrorismus-Problem verschlimmert hat“, so die Worte eines amerikanischen Beamten.

Tatsächlich wird es für die Rekrutierung neuer Terroristen kaum bessere Werbung gegeben haben, als die Bilder von den Alliierten Truppen, wie sie die irakische Gesellschaft zerstören. Zudem bringt einem wohl kaum etwas engagiertere Feinde ein, als jemandem seine Familie zu nehmen oder geliebte Teile dieser – trotz Unschuld – zu foltern und bloßzustellen, wie es in Abu Ghraib geschah.

Legitimation von Gewalt:

Schlussendlich ist der Irak-Krieg wie jeder andere Krieg. Er erforderte es, jungen Männern und Frauen beizubringen, dass es moralisch sei zu töten.

Aktuell belegen die jüngsten Massaker wie problematisch dies ist.

Menschen wollen normalerweise nicht töten. Sie müssen dazu gebracht werden, den Gegner zu verunmenschlichen, d.h. ihn nicht mehr als Mensch, als Wesen mit komplexen Motiven und Bedeutung für andere Menschen, zu sehen. Und man muss sie glauben machen, diesen Gegner zu töten sei nicht nur o.k., sondern sogar gerecht.

In anderen Worten: Es muss zu der Grundausbildung gehören die Fähigkeit zur Empathie auszuschalten. Leider blüht diese nach dem Krieg nicht einfach wieder auf. Die alarmierenden Vorkommnisse von häuslicher Gewalt seitens der Veteranen können hierfür als trauriger Beweis gesehen werden.

Der Krieg im Irak wird also auch dann noch viele Leben beeinflussen, wenn die Soldaten zurück in die Zivilgesellschaft treten, beispielsweise als Polizisten oder auch einfach als Familienväter. Hat man nämlich erst einmal gelernt, dass Gewalt ein akzeptables Mittel ist, um die eigene Sicht der Dinge durchzusetzen, fällt es schwer diese Lektion zu vergessen.

Zu allem Überfluss wird die Anwendung von Gewalt ja nicht nur in der militärischen Grundausbildung legitimiert sondern auch durch die Politik. So wird beispielsweise trotz Partei-Wechsel in der US-Regierung, niemand von jenen zur Verantwortung gezogen, die in den illegalen Angriffskrieg gegen den Irak führten

Diese Kriegsverbrecher – allen voran George Bush, Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice und Karl Rove – genießen alle ihre Buch-Touren und kriegen gewaltige Gagen für Reden gezahlt, während der Mann der (über WikiLeaks) – angeblich – die Kriegsverbrechen enthüllt hat, Bradley Manning, hinter Gittern sitzt und scheinbar sogar gefoltert wird.

Die Aussage, die hinter diesen simplen Fakten steht, ist eine die unserem Regierungssystem nicht gerade gut zu Gesichte steht. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, dass das politische Establishment in Amerika in jeden Krieg ziehen wird, den es will, da sie die Kämpfe weder austragen werden noch ihre Konsequenzen tragen müssen.

Anlässlich des traurigen achten Jahrestages des Irak-Krieges gilt es nicht zu vergessen, das die USA noch immer 50.000 Soldaten dort im Einsatz hat und die tausenden amerikanischen Unternehmer, sowie die dutzenden Militär-Basen die sich dort niedergelassen haben, nicht gerade subtil auf eine dauerhafte amerikanische Präsenz hindeuten.

Es gilt von Obama, trotz seines Abzugversprechens, zu fordern die Truppen abzuziehen, die Basen zu schließen und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

Der Schaden ist angerichtet. Um so mehr muss die USA mit der Wiedergutmachung beginnen.“

Das Original sowie Info’s zu den Autoren findet ihr unter: http://english.aljazeera.net/indepth/opinion/2011/03/201132173052269144.html

 
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Verfasst von - 19. Mai 2011 in Irak

 

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