RSS

Schlagwort-Archive: Utopie

Wirtschaftswachstum – Meine Eindrücke vom attac Kongress „Jenseits Des Wachstums!?“

Bleibenden Eindruck hat Niko Paech bei mir hinterlassen. Ohne all zu konkret zu werden, denn das hätte der zeitliche Rahmen gar nicht zugelassen, machte er in der Auftakt-Diskussion den Eindruck, ein durchdachtes Konzept einer Postwachstumsökonomie im Kopf zu haben. Ob es tragfähig ist, werde ich natürlich kaum bewerten können. Die Frage wird mir trotzdem Anreiz sein, mich in naher Zukunft noch näher mit ihm zu befassen.

Mehr als Anreize liefern, konnte im Übrigen der gesamte Kongress nicht, zumindest für mich. Doch dazu komme ich besser am Ende.

Im starken Kontrast zu diesem, scheinbar radikalen, Wachstumskritiker ist mir, die Gewerkschafterin von ver.di, von besagter Diskussion in Erinnerung geblieben. Ihr Ansatz, Wachstum nicht pauschal zu verurteilen, lässt mich auf merkwürdige Weise unbefriedigt. Sie meinte der Endlichkeit aller Ressourcen und der Ausbeutung des (globalen) Südens durch eine Unterteilung in gutes und in schlechtes Wachstum begegnen zu können. Wohlgemerkt im selben wirtschaftlichen Rahmen wie bisher.

Der Ausbau der Erneuerbaren, eine grüne Industrie etwa, sei gut. Auch der Ausbau des Öffentlichen Sektors, Bücherhallen und Krankenhäuser, sowie Infrastrukturprojekte für ökologischere Mobilität, etc. seien sinnvoll, brächten aber nun mal auch ein Anstieg des BIP mit sich.

Der Standpunkt der Gewerkschafter, auch bei jeder späteren Podiumsdiskussion vertreten, sieht im Wachsen der Wirtschaft also nichts pauschal Schlechtes. Die kapitalistische Organisation dieser, veranlasst sie lediglich zu den Forderungen nach mehr Umverteilung, nach staatlicher Subventionierung des sozialen Dienstleistungssektors und, als maximale Utopie, nach der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Zumindest für mich, der sich eventuell einfach nicht genug mit den reellen Gegebenheiten und/oder Machbarkeiten auseinandergesetzt hat, wirken diese Vorschläge wie die Bekämpfung von Symptomen, ohne das Übel an der Wurzel zu packen.

Jedoch sind diese Vorschläge auch aus meiner Perspektive nicht irrelevant.

Ihre Vertreter holten mich später, im übertragenen Sinne dort ab, wo ich war:

Kapitalismuskritik sei stets notwendig und Ziel könne auch nicht eine, für alle Zeiten fortbestehende, Kapitalakkumulation, lediglich mit grüner Industrie sein. Da aber keine revolutionäre Situation bestünde, müsse man sich durch Reformation des Systems auf den langen und beschwerlichen Weg machen. Ein Kernhindernis gesellschaftlichen Umdenkens stelle dabei die prekäre Situation vieler Arbeitnehmer, bzw. die Angst vor dieser, dar. Gemäß dem Motto „Erst das Fressen, dann die Moral“ sei nämlich kein Raum für Umdenken, wo stete Angst vor der Verschlechterung des Lebensstandards herrsche. Hier käme die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ins Spiel. Sie könne den Weg für tiefgreifendes Umdenken ebnen, indem sie den Wert von Lebenszeit erfahrbar mache.

Allerdings könnte ich mir auch ein Modell des Bedingungslosen Grundeinkommens vorstellen, um (Lohn-)Arbeit von der Bedarfsbefriedigung abzukoppeln, mehr noch: Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen. Paech war glaube ich für die (Lohn-) Arbeitszeitverkürzung, allerdings in Verbindung mit sogenannter „urbaner Subsistenz“, für die man eben die neugewonnene Zeit benötigt und deren Inhalt soziale Interaktion und handwerkliche Tätigkeit sein sollen. In diesem Rahmen sollen die Menschen sich wieder mehr selbst versorgen. Das geht bei ihm soweit, über Regionalwährungen und Tauschringe nachzudenken. Ich glaube der Unterschied zu den Gewerkschaftern liegt also nach wie vor im Dissens bezüglich der Möglichkeit von Wachstum, zumindest derart, wie das durch BIP gemessene.

Vielleicht sind auch diese Modelle nicht realistisch, vielleicht gibt es viel bessere Methoden. Es bleibt mir die Einsicht, dass ein so radikaler Umbau der Strukturen, wie ihn die Abkehr vom (BIP-) Wirtschaftswachstum bedürfte, einer Mobilisierung der breiten Masse bedarf. Die, laut dem Politikwissenschaftler Mohssen Massarat ohnehin schon kritischen 3-5% der Bevölkerung, die durch den Kongress angesprochen würden, reichen nicht aus.

In dem Zusammenhang fällt mir noch eine Person ein, die bleibenden Eindruck auf mich hatte: Frigga Haug, Soziologin an der Uni Hamburg. Unter Anderem mit ihrem Verweis auf die Worte Rosa Luxemburgs, in etwa, dass jede Aktionsform reaktionär sei, stünde sie allein. Nur wenn auf allen Ebenen, also auf der Straße wie im Parlament, auf der Arbeit wie im Privaten, für eine Veränderung gekämpft würde ließe sich ein nachhaltiger Wandel in der Kultur bewerkstelligen.

Ich finde es leider nachvollziehbar, dass den meisten Menschen, angesichts der ungünstigen Verhandlungslage der Arbeit auf dem Markt, nichts ferner liegt, als Hoffnung auf das Schrumpfen der Wirtschaft zu setzen.

Als Strategie der kleinen Schritte könnte mir die gewerkschaftliche Position also sogar gefallen. Ich muss noch eine Menge lesen und abwägen.

Konsens herrschte auf dem Kongress, mich eingeschlossen, jedenfalls in der Überzeugung, dass ökologischer und sozialer Wandel zusammen gedacht werden müssen.

Die Kritik Albrecht Müllers (NachDenkSeiten.de), die Wachstumskritik ginge in eine Arbeitnehmerfeindliche Richtung, sowie das Herausbilden der „Just Transmission Alliance“ (in etwa „fairer Übergang“), zeugen zumindest von dieser Notwendigkeit. Wenn sie nicht sogar eine Unmöglichkeit einfordern.

Die Alliance setzt sich zwar sinnvollerweise dafür ein, die gemeinsamen Ziele der beiden Aspekte zu verdeutlichen. Sie hat aber auch keinen Ansatz für den konkreten Umbau der Wirtschaft. Stattdessen wird, ganz im Sinne der grünen Kapitalvermehrung (green new deal) versucht, neue, nachhaltigere, Wirtschaftszweige zu finden und die Arbeiter umzuschulen. So will man sie mit ins Boot holen anstatt gegen sie, bzw. ihre Arbeitsplätze, zu arbeiten.

Das ist zwar genau der richtige Ansatz. Kern-Probleme bleiben aber unangetastet. Auch Biogas, Windräder und Photovoltaikplatten verbrauchen endliche Ressourcen. Nur kein Erdöl, sondern eben seltene Erden oder Flächen für Lebensmittelerzeugung. Auch die Frage wo der erwirtschaftete Mehrwert herkommen soll, bzw. wo er landet wird nicht gewagt anzugehen. Es bleibt zu befürchten, dass auch ein solches Wachstum des (globalen) Nordens nur auf Kosten des Südens gehen kann. Dabei ist doch eines der größten Dilemma der Wachstumskritik, auf welcher Grundlage man diesen Staaten Wachstum vorenthalten kann/soll/darf. Eine Antwort hierauf gibt ein Ansatz, der Wachstum im Norden vorsieht, erst recht nicht. Zumindest scheint mir das so. Natürlich wäre es theoretisch vorstellbar, dem Süden endlich Zugang zum Weltmarkt zu gestatten. Auch wird man dort unter Umständen in grünen Bereichen wachsen können. Zumindest wenn der Norden Technologien teilt. Aber all das würde wieder „Wettbewerbsnachteile“ für den Norden bedeuten, oder etwa nicht? Wieso sollte sich hierzulande die Sichtweise darauf ändern, wo doch kein Umdenken, bezüglich Profit und Wachstum als Triebkräfte einer Wirtschaft, stattgefunden hat?

Darüber hinaus bliebe die problematische Umwandlung aller Ressourcen in Müll. Es bliebe auch die Aufgabe der ständigen Umverteilung, innerhalb einer Wirtschaft, die genau dagegen an arbeitet (Beispiele Leiharbeit, sinkende Reallöhne, Lobbyismus, etc.). Zu guter letzt bliebe die Frage, inwiefern BIP-Wachstum überhaupt ein gutes Leben bedeutet. Bzw. ob die zugrundeliegenden Werte ein solches nicht eher verhindern.

Für mich ist also weniger die Frage, ob ökologisch und sozial Sinnvolles nicht wachsen darf (was das BIP auch erfassen mag). Natürlich. Das muss es sogar.

Der Punkt scheint mir viel mehr WIE. Steht dabei Mehrwertproduktion im Vordergrund. Oder sollten wir uns inspirieren lassen, von Modellen in denen Geld nicht mal nötig scheint. Wo Lebenszeit quasi Währung darstellt. Diese wirtschaftlich zu Nutzen nicht konsumieren bedeutet. Gemeinschaften vielleicht demokratisch entscheiden, für welches Projekt wie viel Zeit geopfert werden soll und sich wieder selbst versorgen lernen – oder so ähnlich. Kurzum, ist es nicht an der Zeit die Debatte zu führen, was ein gutes Leben bedeutet. Wie ein Wirtschaftsystem dazu beitragen kann. Und welche Rolle BIP, Akkumulation, Wettbewerb, etc. darin spielen sollen?

Diese Fragestellungen hat der Kongress in mir konkretisieren können. Alternative Lösungsvorschläge bleibt er, zumindest mir, jedoch schuldig.

Da stets mehrere Diskussionen gleichzeitig ablaufen mussten, mag dass an meiner Auswahl gelegen haben. Diebezüglich gute Nachrichten: Im Blog zum Kongress wird man wohl bald die Möglichkeit haben, sich Dokumentationen der meisten Inhalte des Kongesses durchzulesen. Dort konnte ich jedenfalls einen Beitrag finden, der mir geholfen hat mich zwischen „übertriebenem Pessimismus oder blindem Optimismus“ zu verorten. Er ist insofern repräsentativ für meinen Endruck vom Kongess. Er hat es geschafft, die allgemeine kritische Stimmung und die daraus erwachsenen verschiedenen Standpunkte greifbar zu machen. Die große Herausforderung, welche es bei dem ganzen zu lösen gilt, wird hier allerdings eben auch nicht adressiert:

Es ist doch ein berechtigter Einwand, dass das BIP aktuellen Studien zufolge, zumindest ab einem gewissen (Sättigungs-) Punkt nichts mehr mit der physischen und vor allem psychischen Gesundheit der Bevölkerung zu tun hat. Genau wie der Verweis auf die völlige Negation von Effekten auf die Umwelt eines wie auch immer gearteten „Wachstums“ oder auch auf die große Mehrheit der Bevölkerung, die vom Kuchen nur insofern was abbekommt, als dass ihr Stück kaum merklich schrumpft. Die Reallöhne steigen jedenfalls nicht (NachDenkSeiten berichten selbst darüber) wie man vermuten könnte mit dem Wachstum. Ganz im Gegensatz zu den Vermögenswerten.

Es geht also nicht nur um die Entkoppelung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch. Sondern, wie Herr Altvater es nennt, auch um die Etablierung einer solidarischen Ökonomie. Da aber liegt der Hund begraben. Es kann schließlich nicht nur darum gehen, Benzin so lange zu verteuern, bis die Menschen nicht mehr Autofahren können. Sich kapitalistischer Triebkräfte zu bedienen, ist in meinen Augen keine Lösung sondern eine Fortsetzung des Problems. Da kann man noch so viel Umverteilen. Sehen wir nicht aktuell im Scheitern der Sozialen Marktwirtschaft, durch Korruption in weitesten Sinn, dass das Kernprinzip einer Wirtschaftsform nicht die materielle Bereicherung sein darf?

Aber wie kann eine Wirtschaft jenseits des Wachstums aussehen?

Und mindestens genauso wichtig: Wie kommt man an diesen Punkt?

Die Bevölkerung muss doch der Ausgangspunkt sein. Von Oben nach Unten, dass hat in der Geschichte selten gut (=human) geklappt. Eine Diktatur des ökologisch-sozialen Proletariats kann und darf nicht die Lösung sein. Das gesellschaftliche Sein, bestimmt das Bewusstsein, denke ich.

Vielleicht müssen also die Massenmedien und das Bildungssystem die Weichen stellen. Dort müssten wohl erst mal bestehende (Macht-) Strukturen verändert werden. Vielleicht müssen die „Experten“ dieses Landes, also Wissenschaftler und Professoren, zu entsprechender Forschung inspiriert werden. Oder, oder. Jedenfalls denke ich, man wird in den Köpfen der Menschen etwas verändern müssen, bevor man die Wirtschaft radikal verändern kann.

Ich habe nichts studiert und bin mit meinen 19 Jahren alles andere als lang dabei. Mir ist also klar, dass keiner dieser Gedanken wirklich ausgereift ist. Dennoch beginnt sich in mir so etwas wie eine Wachstumskritik zu regen. Das, immerhin, hat der Kongress bewirken können.

23.05.11

Anm.d.Verf.: Wer mehr zu dem Lösungsansatz „solidarische Postwachstumsökonomie“ wissen möchte, dem sei Andreas Exners Besprechung des AttacBasisTexts „Postwachstumsökonomie. Krise, ökologische Grenzen und soziale Rechte“ empfohlen.

27.05.11

 
Ein Kommentar

Verfasst von - 27. Mai 2011 in Wachstumskritik, Wirtschaft

 

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,